TEIL I: Ramadan in Ägypten: Eine Reise voller Erkenntnisse
Der Ramadan steht vor der Tür und schon wieder ist ein ganzes Jahr wie im Fluge vergangen, unglaublich. Ich freue mich sehr auf den Ramadan, denn dieses Jahr wird er anders als sonst. Anders als sonst, denn nun ist unsere Tochter in unser Leben getreten und wir werden diesen inşallah (so Gott will) erstmals mit ihr verleben. Und obgleich sie noch so klein ist, mache ich mir bereits Gedanken darüber, wie wir den Ramadan später gemeinsam zelebrieren können. Der Ramadan ist für mich wie eine Reise, eine Reise die meine Seele bereichert und meinen Horizont erweitert. Eine Reise, die auf spiritueller Ebene stattfindet…
Ramadan am Berg Sinai
Meinen ersten Ramadan in einem mehrheitlich muslimischen Land habe ich an einem sehr besonderen Ort verlebt: Am Sinai, dem Ort, an dem der Prophet Moses mit Gott sprach. Ein würdevoller und segensreicher Ort. Hier verfiel der Mosesberg angesichts des Anlitzes des Schöpfers voller Ehrfurcht zu Staub. In jenem Jahr hatte ich spontan meine Freundin inKairo besucht und wir haben eine kleine Rundreise am Sinai unternommen. So kam es, dass wir genau am 1. Ramadan den Berg Sinai bestiegen. Eines meiner prägendsten und faszinierendsten Erlebnisse, denn um Mitternacht stiegen wir auf den Mosesberg hinauf und erreichten unter großer Mühe bei klarem Sternenhimmel, einer Lichertkette von Hunderten von Reisenden und dem Geleit von Kamelen den hohen Gipfel des Berges. Mitten in der Wüste bei über 2.400 m über dem Meeresspiegel waren wir vom Anblick des Sonnenaufgangs mehr als überwältigt, ein Augenblick totaler Faszination, Glück und Bewunderung.
Hier in der Wüste sinnierte ich über den Allmächtigen, darüber wie der Prophet Moses seinen Schöpfer suchte und Gott zu Moses sprach, darüber welch gewaltige Aufgabe ihm auferlegt wurde. Es ist gewiss kein Zufall, dass der Schöpfer die Wüste als Ort der Begegnung auswählte, denn hier ist man Gott näher, einem Ort der Extreme, einem Ort, an dem man seine große Abhängigkeit vom Schöpfer begreift. Hier geht es um Leben und Tod. Hier inmitten von Sand, Staub und extremer Hitze sind alle drei monotheistischen Weltreligionen entstanden. Hier, wo inmitten von Nichts die Gedanken klarer werden und man darüber reflektieren kann, welcher Sinn sich hinter der eigenen Existenz verbirgt. In einer Zeit, in der wir gefangen im Tumult und in der Hektik des Großstadtlebens von den vielen Aufgaben des Alltags überwältigt werden und oftmals keine Zeit bleibt, um über unsere Lebensaufgabe zu philosophieren, um unsere Seele zu läutern.
Kairo – Eindrücke aus dem Ramadan-Alltag
Anders, als wie ich es bisher aus Deutschland kannte, war der Ramadan im gesellschaftlichen Leben der Ägypter sehr präsent, der ganze Lebensrhythmus wurde gar an ihn angepasst. So wurden die Straßen mit den berühmten Ramadan-Laternen geschmückt und die zahlreichen Läden zur Zeit des Iftars geschlossen, es wurden Quran-Rezitationen in öffentlichen Plätzen abgespielt und eigens für den Fastenmonat ein Fernseh-Programm kreiert. Anders, als ich es von Deutschland gewohnt war, wo der Ramadan mehr oder weniger in den eigenen vier Wänden, in der Kernfamilie, allenfalls mit der Erweiterung des Familien- und Bekanntenkreises und in der Moschee stattfand, war hier nun das gesamte öffentliche Leben danach ausgerichtet. Ein Zustand, der mich sehr glücklich stimmte, denn so wurde der Fastenmonat ein gemeinsames öffentlich geteiltes Erlebnis. Ein Umstand, der das Gemeinschaftsgefühl in der Gesellschaft bedeutend stärkte. Ein weiteres besonderes Erlebnis war, das Tarawih-Gebet in den hiesigen Gärten der stilvoll gebauten Moscheen bei Freiluft zu verrichten. Ich spürte einen Segen in der Atmosphäre…
Mir wurde klar, wieviel mir bisher entgangen war und welch unterschiedlichen Charakter der Ramadan in einem mehrheitlich muslimischen Land annehmen kann. Was mir besonders gefiel, war der Raum, der dem Ramadan eingeräumt wurde, jener, der ihm gebührte. Zahlreiche Festlichkeiten wie Freiluft-Aufführungen, Bazarstände und öffentliche Iftars zelebrierten den Monat und die öffentlichen Gebete stärkten den Gemeinschaftssinn. Ich konnte mich glüklich schätzen, in Deutschland war es mir stets gelungen den Fastenmonat in meinen Alltag zu integrieren, sei es in Schule, Studium, Ausland oder Beruf. Man begegnete mir mit Neugier, Offenheit und viel Verständnis. Was mir jedoch fehlte war das innere Leben und die Spiritualität des Ramadan, das gemeinsame Erleben in der Gesellschaft…
Autorin: Rukiye Hamza ist als 5. Kind von 9 Kindern in Berlin geboren und aufgewachsen. Sie ist Diplom-Volkswirtin und Islamologin. Neben ihrem Beruf ist sie gesellschaftlich aktiv, u.a. für das Zahnräder Netzwerk und im Umweltschutz. Sie interessiert sich für Länder, Kulturen, Sprachen und internationale Politik. Sie ist Mutter von zwei Töchtern und schreibt als Gastautorin von ihren gewonnen Erfahrungen und Erkenntnissen als Mutter.
(Fotos: Amine Taşdan)